Dies ist ein Auszug aus dem Buch "Tales of Asian Steam - Dampf Erlebnis Asien" von Florian Schmidt, Bernd Seiler und Cyrill Basler Seiten 154 bis 158

In der KDVR ist das Bildnis des verstorbenen Präsidenten Kim Il Sung allgegenwärtig: An jedem Bahnhof, in jedem öffentlichen Gebäude, ja selbst in Speisewagen. Foto: Shinkichi Fukuda

Florian Schmidt:

Nordkorea (KDVR)

Vergessen Sie das Jahr 2000, willkommen im "Juche 89"! Der Gregorianische Kalender ist in Nordkorea durch die Juche-Zeitrechnung ersetzt worden, die im Jahre 1912, dem Geburtsjahr von Staatsgründer Kim-Il Sung, und seiner stark autarkistischen Ideologie beginnt. Nordkorea, offiziell Koreanische Demokratische Volksrepublik (KDVR) genannt, riegelt sich von der Außenwelt hermetisch ab: Auslandsreisen sind kein Thema, Internet gibt es nicht, Fernseher und Radios sind auf einen Regierungskanal eingestellt, der nicht müde wird, die Heldentaten des 1994 verstorbenen Kim Il Sung, des "Großen Füheres", und seines Sohnes Kim Jong Il, des "Geliebten Führers" anzupreisen. Die wenigen Auslandsgäste die sich nach Nordkorea verirren, müssen sich, stets von politisch geschulten Reiseleitern bewacht, an vorgegebene Programme halten, die den Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung unmöglich machen. Eisenbahnen und Rollmaterial werden als militärische Anlagen betrachtet und sind daher auf keiner Besuchsagenda zu finden, was Einblicken in die nordkoreanische Eisenbahnverwaltung "Zozon Cul Minzuzul Inminhoagug" (ZC) erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Eine einigermaßen vollständige Darstellung dieses so geheimnisvollen Bahnsystemes wird daher wohl noch für lange Zeit ein Desiderat bleiben. Vor diesem Hintergrund genießen Bilder nordkoreanischer Dampflokomotiven einen besonderen Status in den Archiven der Eisenbahnfreunde, in etwa vergleichbar mit dem einer "Blauen Mauritius" bei den Philatelisten.

Von offzieller Seite wird die Existenz von Dampflokomotiven bestritten, Lieferlisten ausländischer Lokfabriken und (spärlich vorhandenes) Bildmaterial lassen jedoch Schätzungen von etwa 400 Normalspur-Dampflokomotiven realistisch erscheinen. Bestätigt sind zahlreiche 1'D1' "Mika Sa" aus der japanischen Kolonialzeit, ähnlich konstruierte chinesische "Jie Fang 6" sowie 1'E-Maschinen von Alco und Baldwin. Letztere wurden im Rahmen von "Lend & Lease"-Abkommen in den Jahren 1944 und 1945 von den USA nach Wladiwostok geliefert, wo sie im Ostteil der Sowjetunion als Baureihe Ye ihre Dienste verrichteten. Einige von ihnen wurden später in die neugegründete KDVR transferiert. Ebenfalls über die UdSSR (und China) dürfte eine unbekannte Zahl der berühmten S-160 1'D-"Klapperschlangen" vom US Army Transportation Corps nach Nordkorea gelangt sein, während die sozialistischen Staaten Europas Bruderhilfe in Gestalt von 20 Maschinen der Baureihen 475.1 (2'D1', Skoda), 25 Stück der Reihe 424 (2'D, MAVAG) und drei Ol 49 (1'C1', Chrzanow) leisteten. Leider hat sie bis heute noch kein westliches Auge im Einsatz erspähen können.

Ein anderes interssantes Kapitel stellen die nordkoreanischen Schmalspurbahnen dar. Zur Unterstützung der Forstwirtschaft und dem Bau hydroelektrischer Anlagen errichtet, führen diese Strecken durch außerordentlich schöne Berglandschaften. Im Jahre 1982 wußte eine Delegation ausländischer Forstwirtschaftler von über 80 Dampflokomotiven, vornehmlich D-Kupplern, zu berichten. Die Mehrzahl dieser Maschinen war in den 60er und 70er Jahren aus China geliefert worden, andere stammten aus der UdSSR. Auch von japanischen 1'D1'-Tenderlokomotiven aus der Vorkriegszeit wurde berichtet. Einige dieser Maschinen dürften noch immer im Einsatz stehen, wenngleich bislang lediglich die Existenz der 1'D1'-Typen auf den Schmalspurbahnen um Musan bestätigt werden konnte.

Es gäbe noch viel zu entdecken auf den Eisenbahnen Nordkoreas. Allerdings ist kaum damit zu rechnen daß ein Regime, das den Schutz seiner Bevölkerung vor dem unreinen Gedankengut ausländischer Besucher quasi zur Staatsdoktrin erhoben hat, Reisen abseits der etablierten Strecke Sinuiju - Pyongyang - Kaesong in naher Zukunft gestattet. Die ZC werden daher bis auf Weiteres ein weißer Fleck auf der Landkarte bleiben.

nach oben

YE 8143 in Tumen

Selten wurden die grenzüberschreitenden Güterzüge von Namyang nach Tumen von 1'E Maschinen bespannt. Von diesen waren in den Wirren des 2. Weltkrieges mehrere Hundert aus den USA unter dem "Lend & Lease"-Arrangement in die Sowjetunion geliefert wurden. Einige der als "Soyusnitzy" (Alliierte) bezeichneten Lokomotiven wurden einige Jahre nach Kriegsende als Aufbauhilfe an Kim Il Sung's junge Volksrepublik weitergereicht. Die Maschinen sind in der Sowjetunion auch als Reihe Ye bekannt geworden. Im Bahnhof Tumen angekommen, gönnt sich das Lokpersonal eine Pause. Ob der Lokführer weiß, daß seine Maschine vom "Klassenfeind" stammt? Tumen im Januar 1993. Foto: Florian Schmidt

Bernd Seiler:

Grenzlasten

Knackig kalt ist es am Morgen des 17. Januar 1995. Der Taxifahrer, der uns um 5.45 Uhr am Bahnhof in der Grenzstadt zu Nordkorea Tumen aufnimmt, schaut nicht schlecht, daß zu dieser Zeit Langnasen nach Weizigou gefahren werden wollen. Doch wir haben es auf den Sonnenaufgang mit dem Frühpersonenzug Richtung Mudanjiang kurz hinter Qi Shui abgesehen. Als wir dem Taxifahrer beim Überqueren des Bahnübergangs der Strecke nach Mudanjiang deuten, daß hier das Ziel unserer Reise sei, mutiert sein Gesicht zu einem chinesischen Fragezeichen. Hier ist doch noch gar nicht Weizigou. Ja, aber wie anders sollten wir unsere Fahrtrichtung angeben, als einfach den nächsten bekannten Ortsnamen an der Strecke zu nennen? Daß wir die Eisenbahn fotografieren und dann nach Tumen zurückfahren wollen, versteht er dann aber. So trotten wir los in Richtung Brücke, der Fluß ist gefroren, die Sonne muß irgendwo im Flußtal aufgehen. Ich bringe schon mal meine Wetterstation in Gefechtsstellung, denn diese Temperaturen scheinen ja nun doch einen kleinen Rekord unserer Winterreise nach China zu markieren. Während wir noch nach der besten Position suchen, rollt ein Personenzug nach Tumen über die Brücke. Es ist noch etwas dunkel für ein Foto, aber draufhalten kann man ja.

Über den besten Fotostandpunkt sind wir immer noch nicht einig, als in Qi Shui der Antritt der QJ unseres Personenzuges hörbar wird. Just in diesem Augenblick beginnt sich der Sonnenball aus dem Morgendunst zu schälen, allerdings nicht an der vermuteten Stelle. Blitzartiger Positionswechsel: In unseren dicken Klamotten rennen wir über das Eis des Flusses auf das Fundament der alten Brücke und können buchstäblich in letzter Sekunde einen Schuß mit der Morgensonne setzen. Naja, erste Sahne war's nicht, aber immerhin.

Auf dem Weg zurück zum wartenden Taxi kontrolliere ich die "Wetterstation", ein kleines Bimetall-Thermometer an meiner Fototasche: -27 °C, na bitte, so kalt war es noch nicht. Im Auto, einem Lada, beschlägt erst einmal alles, was metallisch oder gläsern ist. Gigantische Hitze meinen wir, doch mehr als zehn Grad will das Thermometer nicht vermelden.

JF verlässt Namyang

Grenzlasten: Namyang (Nordkorea) und Tumen (China) sind durch den Yalu-Fluß voneinander getrennt. Am Morgen des 17. Januar 1995 donnert eine koreanische Mikado über die in der Steigung liegende Brücke. Foto: Bernd Seiler

Als unser Taxifahrer gerade wieder auf den Bahnhofsvorplatz einbiegen will, deuten wir ihm, geradeaus zu fahren. Ungläubig fragt er "Namyang?" Na ja, so weit wird man uns wohl nicht lassen, aber die Richtung stimmt und so strapazieren wir unseren spärlichen Wortschatz der Landessprache: "Dui!" Kurz darauf setzt er uns an der Eisenbahnbrücke zu Nordkorea ab und wir beginnen den Aufstieg zum Feldherrenhügel, der eine phantastische Sicht auf Namyang garantiert. Leider ist es zu so früher Stunde noch recht dunstig, der aufstrebende Industrieort Tumen verpestet mit seinen Abgasen die fast windstille Gegend und erzeugt den typischen Wintersmog.

Ein Problem haben wir: begrenzte Zeitreserven. Denn heute wollen wir mit dem einzigen durchgehenden Zug nach Mudanjiang weiterfahren und haben noch nicht einmal eine Fahrkarte. Daher setzen wir unsere Wartezeit auf maximal bis 8.30 Uhr fest. In Namyang erwacht langsam das Leben, die ersten Schulkinder kommen, der einzige Trecker des Ortes tuckert los, der Grenzposten geht frierend auf und ab. Nur im Bahnhof scheint alles ausgestorben. Kein Bauzug, wie gestern, kein Rangierbetrieb, keine verräterische Qualmwolke, alles ist ruhig. Es wird acht Uhr, und nichts tut sich. Auch durch die kanadischen Winterstiefel dringt nun langsam der Frost, die Hände bleiben in den Taschen vergraben, jedoch noch handlungsfähig. Unsere Wetterstation meldet nur mehr schlappe minus 23 °C, fast schon drückende Hitze für einen mandschurischen Winter. Man hört hier oben sogar die spielenden Kinder aus Namyang. Hinter uns, im Bahnhof Tumen, rangieren die QJ und JS, doch Nordkorea scheint den Morgen zu verschlafen: 8.15 Uhr. Mittlerweile fangen wir an, die berühmten Achten zu laufen, viel wärmer wird uns dadurch aber auch nicht. Die Heizsaison habe ich zwar schon vor Sonnenaufgang eröffnet, doch der Taschenofen bleibt im Fotokoffer, damit die Batterien nicht schlapp machen. Die Finger müssen also frieren. 8.25 Uhr: Nichts regt sich. Es ist zum Auswachsen, die Sonne steht optimal, der Dunstschleier ist dünn genug und wir frieren gleich fest. Bei der geringen Fahrzeugdichte auf der Grenzstraße müssen wir wahrscheinlich zum Hotel zurücklaufen, daher drückt die Zeit gewaltig. Acht Uhr dreißig: Na gut, noch fünf Minuten. Doch es will sich einfach nichts regen in Namyang. Die fünf Minuten laufen schnell ab, da - endlich - eine Lok öffnet den Hilfsbläser und stößt eine dicke Rauchwolke Richtung Himmel. Die Maschine steht im Bahnhof, nicht im Bw, vielleicht fährt sie ja jetzt los. Neuer Abmarschtermin: 8.40 Uhr. Nachdem sie fünf Minuten gebläsert hat und auch nicht einen Millimeter gefahren ist, hilft nichts mehr, wir müssen zurück zum Hotel, die Sachen schnappen und zum Bahnhof rennen. Wahrscheinlich muß man erst noch größere Rangiermanöver ausführen, ehe man die Grenzbrücke passiert. Also klettern wir den Berghang hinunter und haben Glück, eine freie Moped-Rikscha knattert vorbei und hält an. Wir überlegen gerade, wie wir dicken Europäer zu zweit samt Fotogepäck am besten in den kleinen "Fahrgastraum" (nach hinten offen) gelangen, da pfeift es kurz in Namyang. Ein Aufschrei - die Lok fährt donnernd an. Der Rikschafahrer guckt ob unserer unerklärlichen Hektik (da fährt doch bloß ein Güterzug ab) genauso dumm wie wir, denn vom Flußufer aus, wo wir jetzt stehen, verdecken Bäume die Sicht auf die Brücke. Was nun? Bevor es zum Adrenalin-Stau kommt, hasten wir zum Fuße des Berghanges und erklimmen ihn erneut. Noch im Klettern biegt die ZMI-Lok in die große Kurve vor der Brücke ein - und was für einen Zug sie dran hat! Mindestens 25 Wagen, nicht die übliche Packwagen-Fahrt. Nach einem kurzen Höhengewinn muß die Kletterei ein Ende finden, soeben donnert die koreanische 1'D1' unter Volllast auf die in der Steigung liegenden Brücke. Die Kameras herausgerissen, das Tele drauf, Schärfe und den Finger auf den Auslöser; die Blende drehe ich zwischen den Fotos auf und zu - nur kein Risiko. Film voll! Zweite Kamera heraus, und das ganze Spiel von vorn. Phantastisch - mit ca. 20 km/h stampft der JF-Verschnitt unter schönster Dampfentwicklung über die Brücke und verschwindet langsam hinter dem chinesischen Grenzposten. 8.48 Uhr! Es bleibt keine Zeit zum Freuen über die gerade noch geglückte Aufnahme. Wir versuchen mit steifen Fingern die Ausrüstung zu verstauen. Auf dem Fußweg zum Hotel wird uns schon wieder warm. Erst nach einigen hundert Metern schnellsten Gehens erlöst uns diesmal eine Rikscha. Den Zug nach Mudanjiang schaffen wir dann gerade noch.

JF auf der Grenzbrücke mit Grenzlast

Unter voller Kraftentfaltung strebt die mit der chinesischen JF6 baugleiche Maschine 6123 dem chinesischen Ufer zu. 17. Januar 1995, Foto: Bernd Seiler

Wollen Sie diesen Loktyp einmal live erleben? Klicken Sie hier!

nach oben


© FarRail Tours - Bernd Seiler - zurück zur Hauptseite
Click here to return to FarRail Tours